August Wilhelmj – der Jahrhundertgeiger aus Usingen

von Christa Jost

August Wilhelmj
August Wilhelmj (1845 Usingen –1908 London)

„Neben dem großen, breiten und vollen Gesangston liegt die Hauptstärke des Künstlers in der seelenvollen Wiedergabe der Melodie, der  Cantilene“, schrieb die New Yorker Staatszeitung über August Wilhelmj am 29. September 1878 in der Sonntagszeitung. Die Rezension wird im Wilhelmj-Archiv des Geschichtsvereins in Usingen aufbewahrt, jener Stadt im Taunus, in der Emil Daniel Friedrich Victor August Wilhelmj am 21. September 1845 in einer musikalischen Familie zur Welt kam.

Die Mutter, eine Sängerin und Pianistin, hatte in Offenbach bei Johann Anton André und in Paris bei Frédéric Chopin Klavier und bei Marco Bordogni Gesang studiert. Der Vater, Jurist am Hof- und Appellationsgericht in Usingen, spielte selbst Violine und brachte dem Sohn die Anfangsgründe bei, bevor dieser beim Wiesbadener Konzertmeister Konrad Fischer Geigenunterricht erhielt. Auf Franz Liszts Empfehlung absolvierte Wilhelmj von 1861 bis 1864 ein Violinstudium am Konservatorium in Leipzig bei Ferdinand David, dem Konzertmeister des Gewandhausorchesters und begeisterte das europäische Konzertpublikum in der zweiten Hälfte der 1860er Jahre durch Klangschönheit und technische Perfektion seines Geigenspiels.

„Wäre die Violine noch nicht erfunden gewesen, sie hätte für Wilhelmj erfunden werden müssen!“

Franz Liszt

1862, während der Zeit seines Aufenthaltes in Biebrich am Rhein, wo Die Meistersinger von Nürnberg entstanden, war Richard Wagner im Hause Wilhelmj oft zu Gast. Ein autographes Albumblatt vom 30. September 1862 mit den ersten acht Takten des Meistersinger-Vorspiels im Bestand des Wilhelmj-Archivs erinnert daran. Zehn Jahre später, an Wagners Geburtstag am 22. Mai 1872, wirkte der 26jährige anlässlich der Grundsteinlegung des Festspielhauses als Violinist bei der Aufführung von Beethovens 9. Symphonie im Markgräflichen Opernhaus mit. Wagner stand selbst am Pult und fand in dem virtuosen Geiger den Konzertmeister seines neu zu errichtenden ersten Bayreuther Festspielorchesters. Bei der Auswahl der Orchestermitglieder für den ersten Ring im Sommer 1876 auf dem Grünen Hügel war Wilhelmj maßgeblich beteiligt. Den mühevollen Prozess der Zusammenstellung des „Nibelungen-Orchesters“ dokumentiert eine erste Liste mit Bleistift- und Tintenvorschlägen von Wagners Hand, die sich im Wilhelmj-Archiv studieren lässt.

„Wilhelmj soll […] eine Art Schule errichten“, plante Wagner bereits am 27. Mai 1872 in Bayreuth, wie Cosima Wagner protokollierte (Die Tagebücher, hg. v. M. Gregor-Dellin und Dietrich Mack, München/Zürich 1982, 2. Aufl., Bd. I, S. 525). Die ersten Bayreuther Festspiele im eigenen Theater hinterließen dem Komponisten jedoch hohe Schulden und vereitelten die geplante Wiederholung der Ring-Zyklen im Jahr darauf. Auch das Schul-Projekt konnte nicht verwirklicht werden. Wilhelmj, der in den 1870er und 80er Jahren Tourneen durch Nord- und Südamerika, Asien und Australien unternahm, organisierte im Mai 1877 eine mehrteilige Konzertreihe mit einem Wagner-Programm in der Royal Albert-Hall in London, in der er erneut die Position des Konzertmeisters einnahm. Die von ihm entwickelte Technik des kantablen Geigenspiels, die völlig neue Maßstäbe setzte, vermittelte er ab 1894 als Professor für Violine an der Londoner Guildhall School of Music. August Wilhelmj verstarb am 22. Januar 1908 in London.

Bereits am 31. Mai 1876 war Wilhelmj im Rahmen eines Konzerts in der Laurentiuskirche zum Ehrenbürger der Stadt Usingen ernannt worden. Der reiche Bestand an Archivalien, die der Usinger Geschichtsverein e.V. besitzt und verwaltet, dokumentiert Leben und Wirken des einst weltweit gefragten Geigers, den das 2019 gegründete August Wilhelmj Musikinstitut Usingen (AWM) zum Namenspatron gewählt hat. Die Erinnerung an August Wilhelmj ist in seiner Geburtsstadt bis heute lebendig geblieben.

Weitere Informationen finden Sie auf https://de.wikipedia.org/